Zusammenfassung eines Vortrags von Prof. Radermacher in Mannheim vom 26. Januar 2017 über eine Studie des FAW Instituts.
Vor rund 10 Jahren erhielt Prof. Mohammad Yunus den Friedensnobelpreis für die Wirkung der von ihm in Bangladesch gegründeten Grameen Bank. Danach schlugen die Wellen der Euphorie hoch um die Kleinstkredite in Schwellen- und Entwicklungsländern, mit denen sich vor allem Frau einen Nebenerwerb finanzieren konnten.
Doch der Flut der Begeisterung folgte wenige Jahre später eine große Ernüchterung. Selbstmorde von Kreditnehmern in Indien, Wucherzinsen in Mexico und andere Skandale beschädigten den guten Ruf von Mikrofinanz und stellten das Lebenswerk von Prof. Yunus in Frage. War das wieder einmal viel Rauch um Nichts oder ist Mikrofinanz doch eine geniale Idee zur Beseitigung der Armut?
Das FAW Institut unter der Leitung von Prof. Radermacher hat sich dieser Frage bereits vor knapp 3 Jahren gestellt und wesentliche Erfahrungen und Beobachtungen von KreditnehmerInnen und Mikrofinanz-ExpertInnen in einer Studie zusammengefasst.
Das Grundproblem in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern ist der fehlende Zugang für die breite Bevölkerung zu einem Finanz- und Kreditsystem. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass in den Schwellenländern viele finanzielle Transaktionen zu kleinteilig und zu dezentral sind, um durch ein traditionelles Bankensystem kostendeckend bereit gestellt werden zu können. Ohne Mikrofinanz bleibt in Armutsgebieten nur der Gang zu den privat organisierten Kredithaien, die mit ihren Wucherzinsen ganze Familien in eine ewige Schuldenabhängigkeit und eine Art moderne Sklaverei führen. Doch was ist der Schlüssel, der es den Mikrofinanzbanken ermöglicht, erstaunlich hohe Rückzahlungsquoten bei völlig mittellosen Familien zu erzielen?
Die folgenden Punkte beschreiben die wichtigsten Erfolgsfaktoren von unbesicherten Kleinkrediten, nach Prof. Yunus:
- Die Kredite erhöhen die Produktivität der Familie, es handelt sich also überwiegend um Investitionskredite. Die Mikrokredite werden aber nicht nur verwendet, um eine Nähmaschine, ein Nutztier oder ein anderes Kleingewerbe zu finanzieren. So werden mit Mikrokrediten z.B. auch Solarzellen refinanziert, die einen Ersatz für teures und ungesundes Licht aus Petroleumleuchten darstellen. Häufig wird auch ein Kredit aufgenommen, um die Ausbildung der Kinder bezahlen zu können.
- Kreditnehmerinnen sind überwiegend Frauen. Dies hat sich gerade bei kleinen Krediten bewährt, wo Frauen sich als diszipliniertere Kreditnehmerinnen erwiesen haben. Das Hauptmotiv der Frauen ist dabei meist eine Verbesserung der Lebenssituation für ihre Familie, insbesondere auch die ihrer Kinder. Indirekt führt die Bevorzugung von Frauen als Kreditnehmerinnen damit auch zu einer Verbesserung der Stellung der Frauen in den oft muslimisch geprägten Regionen.
- Oft werden die Kredite an eine Gruppe gegeben, d.h. es werden genossenschaftliche Strukturen gebildet. Dabei besteht z.B. bei der Grameen Bank keine Kollektivhaftung der Kreditgemeinschaft füreinander. Allerdings wird die Aufnahme neuer Kredite für die Gruppe stets an die Rückzahlung der bestehenden Darlehen geknüpft. Dieser soziale Druck reicht in der Regel völlig aus, um sicher zu stellen, dass alle Mitglieder der Kreditgemeinschaft die Mittel sinnvoll nutzen und den Kredit plangemäß zurückführen. Dieser Gruppeneffekt macht eine Prüfung der einzelnen Investitionsvorhaben überflüssig und reduziert damit den Aufwand der Kreditvergabe.
- Schulung und sozialgesellschaftliche Orientierung sind fest mit der Kreditvergabe verbunden. So ist beispielsweise in Bangladesch die Einrichtung und Nutzung von Latrinen oder die Gesundheitsvorsorge für die Familie ein fester Bestandteil der Schulung der Kreditnehmerinnen. Darüber hinaus wird den KreditnehmerInnen beispielsweise verboten, verschwenderische Hochzeiten zu veranstalten. Diese haben eine lange Tradition in muslimischen Ländern, wo die Hochzeit der Töchter sowie die Höhe der Mitgift die Eltern oft unrettbar in die Schuldenfalle getrieben hat.
Natürlich gibt es global viele Variationen von Mikrofinanz und auch jenseits von Frauen- und Gruppenkrediten gibt es erfolgreiche Mikrofinanzbanken. Allen guten Mikrokrediten ist jedoch gemeinsam, dass sie nicht plünderisch sind und die KreditnehmerInnen nicht in die Abhängigkeit von der Mikrofinanzbank gezwungen werden.
Die Einfachheit und Genialität des Mikrofinanzsystems darf dennoch nicht überschätzt werden. Auch in den Schwellenländern ist nicht jeder Mensch ein geborener Unternehmer und nicht jeder Kredit führt zu positiven Wohlstandseffekten. Realistisch können lt. Prof. Radermacher ca. 10-20% der Bevölkerung von Mikrofinanz profitieren, wobei über Multiplikatoreffekte (z.B. besser ausgebildete Kinder, weniger Krankheiten) darüber hinaus noch ein positiver Hebel besteht.
Es ist Prof. Radermacher wichtig zu betonen, dass selbstverständlich (Mikro-)Kredite nicht das Allheilmittel gegen Armut sind. Humanitäre Hilfe und Sozialsysteme kann Mikrofinanz also nicht ersetzen, auch braucht es ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit, damit Mikrofinanz überhaupt funktionieren kann. Allerdings hat Mikrofinanz den Vorteil, dass dieses Instrument unabhängig von den staatlichen Systemen wirken kann und damit die Eigenverantwortung der Menschen auch in den ärmsten Ländern stärkt. Die Studie kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass es Prof. Yunus mit Mikrofinanz gelungen ist, einen wichtigen Baustein zur Reduzierung der Armut auf der Welt zu liefern.
Der Erfolg der von Prof. Yunus gegründeten Grameen Bank ist mittlerweile so gewaltig, dass die Summe der Spareinlagen der (ehemaligen) Kreditnehmerinnen größer ist, als die Summe der ausstehenden Kredite. In vielen anderen Ländern verfügen Mikrofinanzbanken allerdings noch nicht über so hohe Einlagen und sind auf Refinanzierung u.a. durch Mikrofinanzfonds angewiesen. Bei sinnvoller Auswahl der Institute können hier auch heute noch Investoren einen Beitrag zur weiteren Verbreitung von Mikrofinanz und zur Reduzierung der Armut leisten.
Hier der Link zur gesamten Studie:
http://www.faw-neu-ulm.de/wp-content/uploads/2015/04/Mikrokredit-Studie-dt-2014.pdf